CRUCERO: Worauf müssen sich Kreuzfahrt-Reedereien einstellen, falls die GRÜNEN an der zukünftigen Regierung beteiligt oder diese gar führen werden?
CLAUDIA MÜLLER: Die Weiterentwicklung neuer Antriebstechnologien muss fortgesetzt werden. Der Immissionsschutz, der ja nicht nur Abgasemissionen umfasst, sondern auch Lärm und andere Störfaktoren, könnte ausgeweitet werden.
Einschränkungen, wie sie jetzt schon für Nord- und Ostsee gelten, könnten in Zukunft auch für das Mittelmeer formuliert werden. Die Kreuzfahrt muss wieder einen gemäßigteren Rahmen finden und die Reedereien müssen Verantwortung für die zukünftige Entwicklung der Branche übernehmen.
Das kann aber nur gelingen, wenn die Kreuzfahrt-Branche bestehen und Motor von Innovationen bleibt. Mit den beiden großen deutschen Reedereien und den Verbänden der Kreuzschifffahrt stehe ich seit Jahren in regelmäßigem Austausch.
CRUCERO: Das klingt deutlich differenzierter als im Wahlprogramm der GRÜNEN. Da steht: „Ein ökologischer und sozial blinder Massentourismus mit klimaschädlichen Kreuzfahrtschiffen, endloser Müllproduktion und riesigem Ressourcenverbrauch hat keine Zukunft.“ — Vermutlich würden die meisten Kreuzfahrer sogar sagen: „Das stimmt!“.
CLAUDIA MÜLLER: Ich bin nicht sehr glücklich über diese Formulierung im Wahlprogramm. Glaube aber auch, dass hier insbesondere auch Kreuzfahrer zustimmen könnten. Wir wollen den Kreuzfahrttourismus nicht verbieten. Richtig ist aber auch, dass wir zukunftsfähige Lösungen für die Branche finden müssen.
Claudia
Müller
CRUCERO: Welche Forderungen haben Sie an Kreuzfahrtunternehmen?
CLAUDIA MÜLLER: Kreuzfahrten müssen nachhaltiger werden, bei Emissionen, bei den Besuchen in Destinationen und auch im Umgang mit Angestellten an Bord. Neue Standards für die Kreuzfahrt lassen sich dabei durch staatliche Stellen und regulatorische Maßnahmen umsetzen.
Hafenbehörden können unter anderem die Nutzung von Landstrom durch reduzierte Liegegebühren attraktiver machen, aber auch eine maximale Anzahl von Passagieren vorgeben, die mit dem Schiff anreisen. Etwa so, wie es zuvor Venedig versucht hat, um die Größe und Anzahl an Kreuzfahrtschiffen zu reduzieren, die in die Lagune fahren.
Auch der CO2-Ausstoß könnte in Zukunft für die Schifffahrt mit Abgaben belastet werden. Dazu müssen wir uns aber europaweit abstimmen. In einem weiteren Schritt könnten dann Vereinbarungen auch mit den Vereinigten Staaten folgen.
CRUCERO: Sie könnten sich also zukünftig eine Begrenzung der Passagierzahl pro Schiff vorstellen?
CLAUDIA MÜLLER: Im vergangenen Jahr habe ich in einem Positionspapier eine Zahl von 5.000 Passagieren pro Kreuzfahrtschiff genannt sowie maximal 500 Passagiere in Arktis und Antarktis.
CRUCERO: In der Antarktis sind es derzeit nur maximal 200 Passagiere, die gemeinsam an Bord eines Expeditionsschiffes reisen dürfen.
CLAUDIA MÜLLER: Das stimmt. Ich habe auch zur Zahl 5.000 die Rückmeldung erhalten, dass das für einige Betreiber sogar als zu viel eingeschätzt wird.
„Wir wollen den Kreuzfahrttourismus nicht verbieten. Richtig ist aber auch, dass wir zukunftsfähige Lösungen für die Branche finden müssen.“
Claudia Müller
CRUCERO: In diesem Positionspapier haben Sie auch weitere Maßnahmen formuliert – von Passagier-Reduzierung und Routenanpassung über regelmäßige Gesundheitskontrolle bis hin zur konsequenten Durchführung von Notfallprotokollen. Sollen diese Forderungen an die Kreuzfahrtbetriebe auch nach der Pandemie gelten?
CLAUDIA MÜLLER: Diese Pandemie, die wir jetzt erleben, wird nicht die letzte gewesen sein. Und Ausbrüche von Norovirusinfektionen sind ja schon zuvor an Bord von Kreuzfahrtschiffen aufgetreten. Eine verringerte Passagierzahl ist ein wesentlicher Baustein, auch dauerhaft.
CRUCERO: Im Juli hatten Sie ein Gespräch mit AIDA-Chef Felix Eichhorn. Haben Sie ihm diese Überlegungen auch mitgeteilt?
CLAUDIA MÜLLER: Felix Eichhorn weiß, dass hier neue Lösungen gefunden werden müssen.
„Eine verringerte Passagierzahl ist ein wesentlicher Baustein – auch dauerhaft.“
Claudia Müller
CRUCERO: Nachhaltiger soll auch die Beschäftigung der Mitarbeiter an Bord von Kreuzfahrtschiffen werden. Was stellen Sie sich da vor?
CLAUDIA MÜLLER: Die Arbeitsbedingungen an Bord müssen sich verbessern. Mindeststandard wären europäische Flaggenstaaten, und damit bessere Arbeitnehmerregelungen und Löhne für Beschäftigte an Bord von Kreuzfahrtschiffen internationaler Reedereien.
CRUCERO: Würden Sie so weit gehen, ein Betriebsverbot für bestimmte etwa zu große oder technisch veraltete Kreuzfahrtschiffe auszusprechen?
CLAUDIA MÜLLER: Ich denke, auch hier greift ein regulatorischer Ansatz. Alte Schiffe, die nicht umwelttechnisch umgebaut werden können, werden vermutlich in Zukunft keine Möglichkeit mehr haben, Häfen an vielen Orten der Welt anzufahren. Ähnliches könnte auch für zu große Kreuzfahrtschiffe gelten.
CRUCERO: Wie sollen sich Kreuzfahrt-Kunden ihrer Meinung nach verhalten, wenn sie in Zukunft auf Schiffsreisen gehen wollen?
CLAUDIA MÜLLER: Sie sollten sich informieren und auch aktiv an Bord fragen, welcher Kraftstoff genutzt wird oder wie Umweltschutzrichtlinien eingehalten und umgesetzt werden. Wenn die Reedereien wahrnehmen, dass sich Ihre Kunden für diese Themen interessieren, ist der Anreiz höher, hier Dinge zu verändern.
Bei Ausflügen sollten sich Reisende intensiver mit der Destination beschäftigen und vielleicht auch mal auf eigene Faust auf Entdeckungsreise gehen und ein tiefes Interesse für die Ziele der Reise entwickeln. Das ist jetzt unter den Einschränkungen der Pandemie nicht überall möglich, aber ich glaube, wer auf Kreuzfahrt geht, ist neugierig auf die Länder, die besucht werden.
CRUCERO: Müssten Kunden auch bereit sein, mehr für die Reise zu zahlen?
CLAUDIA MÜLLER: Das Reisen mit einem Kreuzfahrtschiff wird vermutlich nicht billiger werden. Es muss aber auch nicht zwangsläufig teurer werden. Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass durch neue Technologien Prozesse günstiger umgesetzt werden konnten und so einem größeren Publikum die Reise mit einem Schiff ermöglicht wurde. Ich kann mir vorstellen, dass durch technische Weiterentwicklung und Modernisierung das Reisen mit dem Schiff nicht wesentlich mehr kosten muss als heute.
Das Gespräch führte Tobias Lange-Rüb